Das Leben von Heinrich Lenz

Heinrich Lenz, besser bekannt unter seinem Hausnamen Lenze Heiner, wurde am 25. Januar 1890 in Schneeberg geboren; eine Zeit, in der Deutschland eine Monarchie war und von Kaiser Wilhelm II. regiert wurde. Die politische wie gesellschaftliche Mannigfaltigkeit, die Heiner sowie seine damaligen Zeitgenossen binnen kurzer Zeit erleben sollten, bleibt geschichtlich gesehen einzigartig: nach dem Kaiserreich und dem 1. Weltkrieg, in dem Heiner als junger Soldat in Frankreich Dienst tat, erlebte er die Weimarer Republik sowie die anschließende Machtergreifung der Nationalsozialisten. Nach der Zeit der Diktatur und des zweiten großen Krieges war Deutschland im Umbruch, die Lebensmittelrationierung wurde aufgehoben, Grenzen und Ländereien neu strukturiert sowie die Deutsche Mark eingeführt. In dieser schwierigen und unsicheren Zeit begann der Wiederaufbau des Landes und der Start in eine politisch und wirtschaftlich gute Zukunft.

All´ dies, was für uns längst vergangene Geschichte, was uns nur aus Büchern, von Bildern und aus alten Filmen bekannt ist, hat Heinrich Lenz miterlebt; er war damals noch nicht einmal sechzig Jahre alt.

Als nach langer Zeit, im Jahr 1917, der junge Soldat Lenz, für einen Fronturlaub nach Hause kam und auf dem Weg vom Bahnhof Richtung Elternhaus unterwegs war, teilte ihm eine zufällig getroffene Passantin mit, dass seine Mutter bereits vor geraumer Zeit verstorben sei; Heinrich wusste bis dato davon nichts.

Im Jahre 1918 kehrte Heiner, gesund an Leib und Seele, jedoch mit einem Hörschaden (auf den später noch eingegangen wird), aus dem Krieg zurück in sein Heimatdorf und unterstützte dort seinen Vater sowie seine Schwester Anna in der Land- und Forstwirtschaft. In dieser Zeit lernte er seine spätere Ehefrau Ida, geb. Fertig, aus Zittenfelden kennen, die er 1921 ehelichte.

Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor, Josef, Erna und Irma.

Der Wald mit all´ seinen Facetten und Liebreizen war Heiners bevorzugter Aufenthaltsort, er liebte Pflanzen und Tiere. So war ihm oftmals der majestätische Flug eines Bussards, die imposante Erscheinung eines Rehbocks oder der Schrei eines Raben lieber als die Begegnung mit einem Homo sapiens. Folgerichtig wurde Heinrich Lenz 1924 von der Marktgemeinde Schneeberg als Forstwart angestellt und mit der Verantwortung über den Gemeindewald betraut.


Heimatarchiv Schneeberg
Original Jagdschein aus dem Jahr 1967
Heimatarchiv Schneeberg
Heiner schätzte seine Dackel als Jagdhund und Begleiter

Sein Revier erstreckte sich über den südlichen Bereich der Schneeberger Gemarkung, und so ergab es sich häufig, dass der Lenze Heiner, beliebt bei Jägern, jedoch gefürchtet bei Wilderern, bepackt mit Rucksack, Fernglas und Flinte sowie seinem treuen Jagdgefährten, dem Dackel Waldi (später war es Uni) sich auf den Weg machte. Dieser führte ihn oftmals über den Stutz und den Winterberg nach Hambrunn. In dem Höhendorf mit jedem Bewohner dort bestens bekannt, wurden anstehende Arbeiten, dabei handelte es sich oftmals um Belange in der Holzwirtschaft, erledigt, anschließend, bei einem Glas Most, einer Prise Schnupftabak sowie einer wohlduftenden Zigarre, ein Schwätzchen gehalten. Forstwart Lenz verließ den Ort erst dann, wenn er sich in den Ställen über das Wohlergehen des Viehs, er kannte sowohl Kuh wie Hofhund mit Namen, vergewissert hatte. Mit seinem treuen Dackel an der Leine, für Heiner gab es keinen besseren Jagdhund als den Dackel, setzte er den Weg zu seiner nächsten Etappe, das im schönen Morretal gelegene Zittenfelden, fort.

So das Arbeitssoll vom Lenze Heiner für diesen Tag erfüllt war, ging es dann über den Beuchener Berg, den Tracheklinge und Hammediel zurück nach Schneeberg. Hatte er jedoch noch Geschäfte in Beuchen zu erledigen, so stieg er von Zittenfelden in das Höhendorf auf, um dann, nach getaner Arbeit, den Weg über Amorbach nach Hause zu finden. Die hohe Anzahl an täglich zu Fuß zurückgelegten Kilometer, kamen Heiner bis ins hohe Alter zugute. Er war bis zu seinem Tode im Alter von 84 Jahren, mobil und bei relativer Gesundheit.

Bei den jährlich stattfindenden Treibjagden, war, der mittlerweile zum Oberforstwart beförderte Heinrich Lenz, ein gern gesehener Begleiter von Jägern aus nah und fern.


Heimatarchiv Schneeberg
Vorderseite Jagteinladung
Heimatarchiv Schneeberg
Rückseite Jagteinladung

Er selbst machte von seiner Schusswaffe nur selten Gebrauch, und auch nur dann, wenn es unbedingt notwendig war. Dies für einen Waidmann doch recht seltsame Gebaren wird nachvollziehbar, wenn aus seinem Munde wieder einmal folgendes zu hören war: “ Weil ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere“. Eine mögliche Erklärung, warum Oberforstwart Lenz eher ein Heger, denn ein Jäger war. Auch war er wahrlich kein passionierter Kirchgänger; er besuchte das Gotteshaus nur dann, wenn es für ihn unumgänglich war. Heiner kommunizierte mit seinem Schöpfer lieber in einem anderen Rahmen und auf eine andere Art und Weise. Das folgende Sprüchlein, gern von ihm zitiert, unterstreicht diese These:

Ihr glaubt der Jäger sei ein Sünder,
weil selten er zur Kirche geht,
ein gutes Wort, ein Blick zum Himmel,
ist besser als ein falsch´ Gebet.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass der Lenze Heiner ein angenehmer, rechtschaffener, heimatverbundener, bescheidener und honoriger Zeitgenosse war, mit festen Prinzipien und Wertvorstellungen. Dies wusste natürlich auch seine Ehefrau Ida, der doch die stark reduzierte Bereitschaft ihres Gatten bezüglich seines Kirchgangs, sehr missfiel.

Eines Christen Pflicht sei es, wenigstens einmal im Jahr zu beichten, forderte Heiners bessere Hälfte. Dieser mit Nachdruck kundgetanen Aufforderung, war des Hausfriedens Willen, uneingeschränkt Folge zu leisten; da gab es für den säumigen Kirchgänger kein Entrinnen. Heiner vertrat die Meinung, wenn schon beichten, dann unter höchsten Ehren. So schwang er sich, wie sein alljährliches Prozedere war, in der Karwoche auf sein Fahrrad und radelte Richtung Kloster Engelberg. In Großheubach, am Kloster angekommen, führte ihn sein Weg erst einmal in die Klosterstube. Nach ein zwei Krügen Bier, einigen Prisen Schnupftabak sowie einer Zigarre, da bevorzugte Heiner die Marke Weißer Rabe, fühlte er sich von der strapaziösen Radltour erholt und war guter Dinge. Nun, den eigentlichen Zweck seines Daseins im Kloster hatte er natürlich nicht vergessen, die Beichte. Allerdings, und so war es auch in all´ den Jahren zuvor, war Heinrich Lenz sich keiner Sünden bewusst und beschloss deshalb, dass eine Beichte für ihn unverhältnismäßig und unnötig sei. Gattin Ida, die ihrem Ehemann diesbezüglich nicht absolutes Vertrauen schenkte, verlangte stets einen Beichtnachweis, in Form eines Beichtbildchens von ihm.

Aber auch hier wusste sich Heiner zu helfen. Er scheute sich nicht, einen aus dem Beichtstuhl kommenden reuigen Sünder anzusprechen und diesen um sein Beichtbildchen zu bitten. Als Dankeschön entrichtete er bei jenem seinen Obolus und radelte gut gelaunt, mit sich und der Welt im Reinen, nach Schneeberg zurück. Dort angekommen, übergab er seiner Ida den Beichtnachweis, erzählte von der Absolution und der anstrengenden Radltour. So waren am Ende des Tages alle zufrieden und Heiner hatte wieder ein Jahr Zeit sich auf seine nächste „Beichte“ vorzubereiten.

Das Rad der Zeit drehte sich weiter, die Jahre gingen dahin, und so wurde Oberforstwart Lenz im Jahre 1959 in den verdienten Ruhestand verabschiedet. Ganz ohne Aufgabe in Wald und Flur konnte Heiner jedoch nicht sein, und da er sich der Marktgemeinde nach wie vor verpflichtet fühlte, hat er sich bis zu seinem 80igsten Lebensjahr dem Gemeindewald angenommen.


Heimatarchiv Schneeberg
Heiner mit Ehefrau Ida
Heimatarchiv Schneeberg
Heiner bei einem Winterspaziergang

Aus dieser Zeit ist folgende Anekdote bekannt:
Es wird in den 1960er Jahren gewesen sein. Eine Frau aus Zittenfelden ist mit dem Fahrrad Richtung Schneeberg unterwegs als sie in der Höhe des Hammediels eine lautstarke Auseinandersetzung zweier Herren wahrnimmt. Da zu dieser Zeit jeder jeden kannte, war es für die Dame nicht schwierig die Stimmen zuzuordnen.

Dabei handelte es sich um den Lenze Heiner sowie den Spethe Otto, zwei ältere Herrschaften, die eigentlich immer gut miteinander waren. Die Fahrradfahrerin, das Schlimmste befürchtend, trat in die Pedalen und stand Minuten später bei Heiners Ehefrau Ida an der Haustüre. Sie schilderte der konsternierten Ehefrau den nicht zu überhörbaren Disput der beiden Greise mit der Befürchtung, dass es ihrer Meinung nach durchaus zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen könne. Als Stunden später Heiner nach Hause kam, wurde dieser von seiner besseren Hälfte, eingedenk des Vorgefallenen, zur Rede gestellt.

Völlig ahnungslos und ungerechtfertigt beschimpft stand Heinrich Lenz vor seiner doch sehr aufgebrachten Gattin und beschwor sie mit folgenden Worten:

De Spethe Opa und ich häbbe doch net stritte, mir häbbe uns doch nur gut unn a lang unnerhalde

Zu erklären ist dieses Missverständnis dadurch, dass beide Herren während des 1. Weltkrieges hörgeschädigt nach Hause kamen. Der Lenze Heiner hörte sehr, sehr schlecht und der Spethe Otto war absolut taub und las nur von den Lippen ab. Da sie beide also kein Gefühl für Lautstärke hatten, sprachen sie deshalb extrem laut. Für Außenstehende könnte sich das schon wie ein Schreien anhören.

Frau Ida Lenz starb am 8. Mai 1970, im Alter von 69 Jahren, nach kurzer schwerer Krankheit. Zu diesem Zeitpunkt war Heiner 80 Jahre alt und von nun an allein in seinem Haus. Aus vielerlei Gründen bot seine Tochter Irma ihrem Vater an sich bei ihr einzuquartieren, da sein neues Zuhause Luftlinie ja nur wenige Meter von Seinem entfernt sei und sich für ihn deshalb nicht allzu viel ändern würde. Nach einigen Überlegungen willigte Heiner ein. So lebte er einige Monate inmitten seiner Familie mit Tochter, Schwiegersohn und Enkelkinder.


Heimatarchiv Schneeberg
Heiner mit Ehefrau Ida (links) und Tochter Irma (rechts)
Heimatarchiv Schneeberg
Heiner mit Enkel Hubert

Es war eine gute Zeit für ihn, ohne Entbehrungen und ohne Angst vor dem Alleinsein, bis er eines Morgens seiner Tochter mitteilte, dass er hier nicht mehr bleiben könne und in sein altes Haus zurückmüsse. Mit wehmütigen Worten fuhr er fort: „Einen alten Baum soll man halt nicht verpflanzen“. Danach packte er seine persönlichen Sachen und ging zurück in sein Haus im Hangweg; Heiner litt unter Heimweh. Umsorgt von seiner Familie lebte Heinrich Lenz noch vier Jahre in seinem Domizil, bis er sich dort, am 17. Juni 1974, wie es seinem Wesen entsprach, still und leise aus dieser Welt zurückzog.

Viele Schneeberger erreichte diese traurige Nachricht während ihrer Wallfahrt zum Heiligen Blut in Walldürn.

Unter großer Anteilnahme der Dorfbewohner wurde Herr Lenz im Familiengrab beigesetzt. Viele Trauernde aus nah und fern erwiesen ihm die letzte Ehre. Heinrich Lenz, Lenze Heiner, ein Schneeberger Urgestein und Original war ein besonderer Mensch, so wie jeder Mensch etwas Besonderes ist.

Möge er lange in Erinnerung bleiben.


Heimatarchiv Schneeberg
Lenze Heiner Porträt
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Nachruf Lenze Heiner
  • Autor: Winfried Prieschl (Enkel von Heiner Lenz)
  • Foto: Familie Prieschl
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